Episode 045
Was sind Antreiber? Wie hängen sie mit Einschärfungen und Stress zusammen? Wie kannst du damit umgehen?
Shownotes
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Erwähnte Episoden:
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Unser Gespräch
Christin: Ja, hallo, herzlich willkommen, …
Jürg: Hallo.
Christin: … liebe Hörerin, lieber Hörer, wieder zu unserm Podcast. Und es geht weiter mit dem Thema Skript.
Stresssituationen
Jürg: Letzte Woche waren in Rösrath Prüfungen, TA-Prüfungen. Und so Prüfungssituationen sind ja oftmals auch Stresssituationen. Für die Kandidaten, aber auch für Prüfer. Also ich finde das auch als Prüfer ist das so ein Stresselement …
Christin: … auch Stress, genau.
Jürg: Und in Stresssituationen wird häufig ja dann auch Skript aktiv – oder Skriptthemen.
Christin: Vor allen Dingen, genau. Also letztes Mal habe ich so ein bisschen das Thema Einschärfungen beschrieben. Wie die zutage treten, in Stresssituationen. Verknüpft auch mit möglichen körperlichen Reaktionen. Und genauso ist es mit dem Thema Antreiber oder Antreiberverhalten, das sich dann möglicherweise in stressigen Situationen nochmal viel stärker zeigt. Denn, was machen wir im Stress? Wir gucken auf ureigenste Muster zurück. Oder verfallen auf eigene Muster, die wir eben sehr häufig benutzt haben. Ob sie denn dann hilfreich sind oder nicht, das ist dann der Punkt.
Was sind Antreiber?
Jürg: Und da hat ja eben der Taibi Kahler – der ist klinischer Psychologe und hat die Idee von Eric Berne aufgenommen, dass das Skript eben auch in ganz kurzen zeitlichen Sequenzen sichtbar sei, und hat mal Aufzeichnungen gemacht. Er hat Klienten beobachtet, hat Worte und auch nonverbale Signale aufgezeichnet und hat tatsächlich festgestellt, dass es da so Merkmale gibt – bzw. hat dann so fünf Kategorien rauskristallisiert, die er als Antreiber bezeichnet hat, die fünf Antreiber.
Christin: Ja.
Jürg: Und das Interessante ist, dass da wirklich etwas von Skriptthemen gegen aussen sichtbar ist.
Christin: Also viel schneller vielleicht auch als bei den Einschärfungen, die eben – wie wir es letztes Mal gesagt haben, dann auch Schichten drüber haben. Weshalb ich gar nicht so genau direkt sagen kann, welche Einschärfung darunterliegt.
Jürg: Was auch noch so ein Unterschied ist zu den Einschärfungen ist, dass die Antreiber in der Regel in einer späteren Phase des Kindes vermittelt. Und oftmals eben auch bewusster von den Eltern. Der Leonhard Schlegel sagt im Handwörterbuch
Antreiber sind (…) erzieherisch gemeinte elterliche Aufforderungen, die einem Kind bestimmte Verhaltensweisen vorschreiben, die es zu erfüllen trachtet, in seine innere Elternperson und in sein Skript übernimmt.
Also das wird viel bewusster gesagt: „So sollst du sein!“ Und: „Das ist gut!“
Christin: Genau, so wird der Kreis nochmal schön deutlich zu auch den Ok-Positionen oder dieser Idee von Ok-ness oder sich ok zu verhalten. Denn was macht das Kind daraus? Es sagt: „Ich bin nur dann ok, wenn ich …“ Also: „… es anderen recht mache.“ Ich bleibe jetzt mal bei der Idee. Also es findet so eine Verknüpfung statt mit dieser Idee: Wenn ich's denn schaffe, mich so und so zu verhalten, dann bin ich ok. Im Gegensatz zu den Einschärfungen, die eben sehr deutlich sagen: du bist in dieser und jener Art nicht ok. Das habe ich davon abgeleitet oder ich erlebe mich als nicht ok bezüglich meiner Art Kind sein zu wollen, also bin ich eher erwachsen oder verhalte mich eher erwachsen.
Jürg: Ja, die Einschärfungen haben ja dann zur Folge, dass ich mich als nicht ok empfinde.
Christin: Ja
Jürg: Weil ich die eben nicht … weil ich eben nicht so sein darf, wie ich vielleicht wirklich bin. Und da sind dann die Antreiber auch ein Versuch, diese Einschärfungen aufzulösen.
Christin: Genau.
Jürg: Es gelingt nicht wirklich. Aber die Logik dahinter ist: solange ich mich eben dem Antreiber entsprechend verhalte, solange bin ich vielleicht doch ok. Obwohl darunter die Einschärfung ist. Das Problem ist, dass es nicht gelingt, weil die Antreiber haben so einen Anspruch, zu hundert Prozent, immer das zu erfüllen. Das gelingt uns nicht. Und deshalb erzeugen wir dann in solchen Situationen zusätzlichen Stress, den inneren Stress. Also nehmen wir nochmals eine Prüfungssituation und falls da dann wirklich Skriptthemen auftauchen, von vielleicht Sei nicht wichtig! oder Schaff's nicht! oder was auch immer. Und wir versuchten das aufzulösen – unbewusst – mit einem Antreiber. Und das schaffen wir dann auch nicht, eben es beispielsweise allen recht zu machen. Dann verstärken wir den Stress, der von aussen kommt durch den inneren Stress. Ich glaube, das ist dann der wirkliche Stress. Also das, was uns dann wirklich zu schaffen macht.
Christin: Und wie gesagt – ich möchte das nochmals verstärken – es ist dann Antreiberverhalten. Man kann das sehr schön sehen oder auch hören. Diese Idee von ich bin nur dann ok, wenn. … ich eben schnell die Dinge begreife oder sie perfekt mache oder Ähnliches, was dann dahinterliegt. Und das Verhalten ist dann sichtbar. Da gibt's dann die entsprechenden Tabellen, die auch so weiterentwickelt wurden. Die finde ich sehr schön. Sie laden allerdings auch dazu ein, es sehr – hm, wie soll ich's sagen – sehr stringent zu sehen oder zu sagen „ich muss nur in die Tabelle gucken und dann weiss ich …“ Und da bin ich wieder bei dem Punkt, den ich letztes Mal gesagt habe: wer einen Antreiber Sei perfekt! hat. Also auch da bitte gucken und sagen: „Ich erlebe gerade Verhalten im Sinne dieser Idee von Sei perfekt!“ Und dann mit dem Klienten oder wer auch immer vor euch jeweils sitzt, liebe Hörerin, lieber Hörer, zu gucken, inwiefern ist dieses Verhalten auch hinderlich. Auch hier haben wir zwei Seiten der Medaille. Es ist toll, wenn jemand sich in Leute … eine hohe, hohe Qualität, sich in andere Menschen reinzuversetzen oder reinversetzen zu können. Oder entsprechend anderen – bleiben wir mal beim Mach's recht! – entgegenzukommen, sich um die anderen zu kümmern und einfach so zu empfinden und eine Idee zu haben, was der andere braucht, ja. Es geht nur dann darum, wenn ich mich selber darin verliere.
Jürg: Und wenn ich eben mein Ok-Sein davon abhängig mach. Dann wird es zum Antreiber, dann wird's zu Stress. Wenn ich das lösen kann, dann haben diese Antreiber oder diese – wie's der Schlegel eben gesagt hat – diese erzieherisch gemeinten elterlichen Aufforderungen auch Gutes bewirkt. Da können wir dann nachher auch nochmal durchgehen – zu den Antreibern. Noch etwas allgemein, bevor wir dann mal auch noch die Antreiber einzeln anschauen, was ich auch so mitgenommen habe aus der TA-Ausbildung, ist auch so die Gefahr, die darin steckt, wenn wir den Antreiber einfach so „wegmachen“ wollen. Also, wenn wir sagen: „Sei perfekt! gilt nicht mehr, ich mache jetzt absichtlich Fehler.“ Dass das gefährlich sein kann, weil dann plötzlich die Einschärfung blank liegt. Gefährlich im Sinne von, dass da plötzlich noch etwas anders rauf kommt. Also es geht nicht einfach darum, Antreiber wegzumachen, sondern ein Stück weit auch sorgsam damit umzugehen. Wie gesagt, wir kommen dann am Schluss auch noch dazu, zu schauen, wie gehen wir denn damit um.
Christin: Ich finde, es ist gut, dass du das so nochmal sagst, denn auch diese Idee von etwas einfach wegmachen, das ist ja eine Verdinglichung auch des Antreibers. Und es geht hier eher darum, zu sagen, welches Verhalten wird dadurch angetriggert? Oder weshalb steuere ich mich wie? Also das auch wirklich generischer zu sehen als es zu verdinglichen. Sondern eher auf dieser Verhalten- und Systemebene auch so zu beschreiben, ja.
Antreiber erkennen
Jürg: Ja, also, gehen wir mal die fünf Antreiber, die der Taibi Kahler definiert hat, durch. Was ich schön finde an diesen Antreibern – du hast es schon erwähnt, es gibt so Verhaltenstabellen, die werden wir auch reinstellen auf unserer Internetseite, da könnt ihr mal reinschauen. Ich nutze die Tabelle eigentlich nicht so oft.
Christin: Ich auch nicht.
Jürg: Weil ich glaube, liebe Hörerin, lieber Hörer, wenn du dich mit der Antreiberthematik befasst und dir Gedanken gemacht hast über die Antreiber, dann kann man ganz intuitiv das auch wahrnehmen, wenn bei einer Person – sei das ich selbst oder auch eine andere Person – ein Antreiber aktiv ist. Ich nutze das beispielsweise, wenn ich Kurs beginne, dass ich zu Beginn auch mal – meistens in der Vorstellungsrunde – schon so ein Auge darauf habe, was kommt mir da entgegen? Was könnten mögliche Antreiber sein? Und das hilft mir dann, den Menschen individuell auch zu begegnen. Und nicht da gerade noch… Wenn ich merke, da ist bei jemandem Sei stark! ein Thema, dass ich da besonders vorsichtig bin, diese Person nicht in der Gruppe noch zu konfrontieren, wenn man die Leute noch nicht gut kennt. Oder irgend sowas. Und da finde ich das sehr hilfreich und da gehe ich jetzt nicht auf die Merkmale ein, die man da sammeln kann, die sicher auch berechtigt sind, sondern es geht mehr so ins Intuitive. Was spüre ich? Was nehme ich wahr?
Christin: Ja, genau. Zu was lädt der andere mich ein? Oder wenn ich so mit seiner Art mitschwinge oder mitgehe, zu was werde ich eingeladen? Was triggert mich an? Dann kommen häufig so Dinge, dass man das häufig so intuitiv sagt: „Mensch, das hört sich aber anstrengend an.“ Ja?
Jürg: Mhm, ja.
Christin: Oder: „Da beherrschst du dich aber sehr stark selbst.“ Oder, dass man eben sagt: „Meine Güte, da hast du aber … das fühlt sich für mich sehr gehetzt an.“ Also das sind auch gleichzeitig – finde ich – Einladungen in der Beratungsarbeit solche Angebote auch zu machen. Um es dann zu überprüfen und zu sagen: „Och, interessant, dass es so wirkt. Ne, es strengt mich gar nicht an.“ Oder: „Es ist für mich bewusst so mal in einer Situation ist es ok.“ Also auch da kann man gut in einen Dialog treten.
Jürg: Also schauen wir mal die fünf Antreiber an. Dass wir kurz mal schauen, wie sind die entstanden? Was hat das Kind da mitgekriegt. Wobei das oftmals schon vom Name her klar ist. Und dann können wir vielleicht auch ein oder zwei Anzeichen mal nennen, ohne eine ganze Tabelle durchzugehen. Die könnt ihr dann selbst noch nachlesen.
Sei perfekt!
Sei perfekt! Da hört man schon, es geht um Perfektion.
Christin: Oder eine Liebe zur Vollkommenheit, ja.
Jürg: Da war sicher das Thema, dass darauf geachtet wurde, dass das Kind genau gearbeitet hat, sei das bei Schul-Hausaufgaben oder zu Hause. Wahrscheinlich wurde auch auf Ordnung grossen Wert gelegt. Da hört man ja schon, dass es nichts grundsätzlich Schlechtes ist, sondern dass es auch gut ist. Die Problematik hier wieder ist, dass das Kind seine Logik daraus macht: „ich bin nur ok, wenn ich immer perfekt bin.“ Und dann wird's zum Antreiber. Sonst ist nichts gegen genaues Arbeiten einzuwenden. Aber wenn ich mich nicht mehr ok fühle, wenn ich jetzt mal irgendetwas nicht perfekt oder eben einen Fehler gemacht habe, dann wird's zum Stress, zum Antreiber.
Christin: Mhm, genau. Oder auch so Dinge wie sehr korrektes Verhalten. Das kann einerseits in die Richtung des Mach's recht gehen. Auf der anderen Seite eben auch in so'ne Perfektion von sich verhalten, Ritualen, so formalisiertem Verhalten kann das gehen.
Jürg: Und um das so … wie sich das äussert … da erlebe ich oft – ich nehme jetzt das Beispiel wieder von einer Vorstellungsrunde – Leute, die dann sehr stark ins Detail gehen. Und sie beginnen vielleicht einen Satz und da fällt ihnen noch etwas ein, das man eben auch noch sagen müsste der Vollständigkeit halber – sonst ist es nicht perfekt.
Christin: Also so Einschübe.
Jürg: Genau. Und dann so aufzählen, vielleicht sogar mit den Fingern: erstens, zweitens, drittens, … Das können dann so Anzeichen sein, wo ich dann denke: Ja, da könnte eventuell dieser Antreiber ein Thema sein.
Christin: Genau. Also ich finde diese Einschübe sehr eingängig. Das erlebe ich immer wieder und es ist wirklich dieses Aufzählen, sehr detailliert, sehr nummerisch, ja. Das sind so die …
Jürg: Manchmal leidet dann die Geschwindigkeit etwas. Weil wenn der Anspruch, perfekt zu sein, aktiv ist, dann braucht es einfach mehr Zeit…
Christin: Ja.
Sei stark!
Jürg: … meistens. Dann haben wir Sei stark! als nächsten Antreiber.
Christin: Ja, da habe ich gerade schon gesagt, es ist so dieses Thema der Selbstbeherrschung. Und ich finde auch ganz interessant: die Frage ist so, inwiefern geht das – diese Selbstbeherrschung – auch auf Kosten meines Sich-Wohlfühlens, im Sinne von sich verspannen. Oder Dinge auch locker sehen zu können.
Jürg: Ja.
Christin: Also, da erlebe ich sehr viel, was es da an Verspannung, Gespanntheit im Körper – da fange ich jetzt mal mit dem Körper an. Inwiefern ist es unbewegt oder auch wenig Ausdruck. Das finde ich nochmal sehr eingängig, ja.
Jürg: Und das Sei stark! kann ja dann auch verschiedene Ausprägungen haben, im Sinne von „zeige keine Gefühle“, „zeige keine Schwäche“, „nimm keine Hilfe an“. Und oftmals ist da eben sehr wenig oder gar keine Gestik und Mimik sichtbar. Und deshalb – wie du sagst – kann das sehr gut auch zu Verspannungen führen. Also dass sich das auch körperlich manifestiert. Das ist sicher bei jedem Antreiber auch ein Thema und ich glaube, hier besonders stark auch.
Streng dich an!
Christin: Ja, dann Streng dich an! Da hatte ich jetzt auch vor ein paar Tagen ein gutes Beispiel, dass jemand sagte: „Ja, meine Mutter hatte immer Angst gehabt, ich bleib sitzen.“ Wenn diese Idee so von der Familie getragen ist, dann … und obwohl das Kind gute Noten hat, dann steht immer so im Raum: „Streng dich an, denn hoffentlich passiert's nicht, dass du sitzen bleibst.“ Damit immer mit der Idee: ich bin nur ok, wenn ich mich anstrenge. Und dann werden häufig auch Erfolge nicht gefeiert, von einer Herausforderung zur nächsten gehetzt. Ich finde, das ist nochmal ein ganz gutes Zeichen auch, kann man so an sich selbst reflektieren.
Jürg: Oder sogar das Ziel nicht erreicht, unbewusst. Weil, wenn ich etwas erreich habe, kann ich mich nicht mehr anstrengen. Also ich arbeite lange und hart an irgendeiner Aufgabe und zögere so das Erreichen unbewusst hinaus, weil dann könnte ich mich nicht mehr anstrengen.
Christin: Ja.
Jürg: Ich glaube alle Antreiber haben auch etwas Ansteckendes. Und meine Erfahrung ist, Streng dich an! ist besonders ansteckend.
Christin: Ja, es passt auch so zum Zeitgeist. Es geht ja um sich reinhängen, ins Zeug legen, irgendwas wegschaffen … ja.
Jürg: Und da kommen so Worte wie „es ist schwierig“ und „ahh, es ist so hart und schwer“ und ich habe das Gefühl, das spring so auf mich rüber und plötzlich habe ich auch das Gefühl, alles ist schwierig. Und manchmal ist das, was so als schwierig angesehen wird, mit einer Handlung, vielleicht mit einem Telefonanruf, erledigt. Wenn man's macht, aber die Tendenz ist halt, das so „ahhh…“ und hinausschieben.
Mach's recht! Sei (anderen) gefällig! Sei liebenswürdig!
Christin: Ja, ja, ja, genau. Und beim Mach's recht oder Sei gefällig! oder Sei liebenswürdig! – das ist interessant, da gibt's jetzt mehrere Varianten. Ja, da ist es natürlich dieses Liebsein, Liebkind zu sein. Ich glaub, das ist auch sehr leicht eingängig. Sehr höflich zu sein, sehr nett zu sein. Was auch eben wiederum positiv ist. Zu sagen: Ich kann mich an eine Situation mit Leuten sehr gut anpassen. Ich kann auch sehr gut, mich in eine Situation reinfühlen. Und das ist eine Chance eben. Wie gesagt, wenn ich aber dann merke, es führt dazu, dass ich mich selbst vergesse – das ist dann wirklich so eine Situation, wo Mitarbeiter oder Führungskräfte im Coaching sagen: „Mensch, ich habe für alle da was gebucht. Und ich habe durchgezählt und komm immer nicht auf die Zahl. Ah, ich habe mich selber vergessen.“ Solche Situationen zum Beispiel. Oder so eine Situation: eine Mutter, die sagt: „Oh, jetzt muss ich auch noch an mich selber denken, weil ich jetzt krank bin.“
Jürg: Ja, und manchmal, wenn das sehr stark ausgeprägt ist, da ist es dann auch so, dass es andere fast erdrücken kann. Also es wird dann so dermassen hilfsbereit, dass ich das Gefühl habe, es wird mir selbst zu viel.
Christin: Mhm, ja, genau.
Jürg: Auch da wieder, das intuitive Spüren, was ist dahinter. Und ich glaube, wir spüren auch gut den Unterschied: ist es jetzt wirklich echte Hilfsbereitschaft, die auf einem Ich bin ok, du bist ok basiert oder ist es eben der Antreiber, der da sagt: du musst es allen recht machen, sonst bist du nicht mehr ok.
Christin: Ja, ja. Und dann so eine Idee von „sonst werde ich nicht mehr gebraucht“. Oder diese Idee von „ich muss gebraucht werden“. Oder andersrum „ich habe sonst Angst, dass ich nicht gebraucht werde“ gibt's ja auch immer wieder.
Beeile dich!
Jürg: Und dann der fünfte: Beeile dich! da geht's einfach schnell.
Christin: Genau.
Jürg: Und das wird dann auch als Wort häufig gebraucht: schnell und …
Christin: … und eilig …
Jürg: … und mach noch kurz …
Christin: Ja, ja. Na, und das kann man sich ja auch gut vorstellen. Du hast letztes Mal so von euch als Familie erzählt. Wenn eine Familie so in einem Zustand ist, wo eine Situation einfach ist über mehrere Wochen, Jahre, weil einfach Dinge schnell abgearbeitet werden müssen. Oder dann nächstes Kind gekommen ist oder die Eltern viel arbeiten, dann kann das einfach auch auftreten, dass die Kinder da, um Zeit zu haben, schnell agieren müssen. Und dann schnell sagen müssen, was in der Schule passiert ist oder schnell sagen müssen, was XYZ. Damit sie diese Zeit nutzen.
Jürg: Ja, das ist jetzt spannend. Ich habe mir das noch nie überlegt, aber wenn du das so sagst. Ich glaube, ich kenne so einen Beeil-dich-Antreiber, wenn es um's Essen geht. Also jetzt nicht mehr so, aber früher war das so, weil – ich habe letztes Mal erzählt, dass wir da im Altersheim gelebt haben – da hatten wir auch als Familie nicht so viel Zeit zum Essen, weil die Eltern und meine älteren Geschwister mussten dann auch wieder die andern, die Bewohner bedienen. Und das ist so ein … ja, das ist so ein Familienthema. Wir haben immer sehr schnell gegessen. Und ich habe das dann erst gemerkt später, als ich mit anderen Leuten gegessen habe, dass ich immer schon fertig war und die haben da noch gemütlich sich verpflegt. Mittlerweile habe ich mir das auch abgewöhnt. Ich kann mir auch etwas mehr Zeit lassen beim Essen. Aber das ist sowas, vielleicht auch ein situationbezogener Antreiber, eben auf die Situation Essen.
Christin: Genau, das ist auch nochmal ein schönes Beispiel dafür, es muss sich jetzt nicht komplett durchziehen, dass ich ständig renne oder nicht ruhig laufen kann. Es kann aber auch nur dieses Laufen sein, dass ich vielleicht schnell über die Gänge an meinem Arbeitsplatz gehe. Oder es kann zum Beispiel mit Essen oder anderem verbunden sein.
Jürg: Was mir schon aufgefallen ist – und das kling vielleicht irgendwie paradox, aber Leute, die den Beeil-dich-Antreiber gut kennen und oft aktiv haben, die kommen häufig zu spät. Und es kling widersprüchlich, weil wenn sie sich beeilen, sollten sie ja pünktlich da sein. Aber glaube, es hat damit zu tun, dass sie sich wie unbewusst unter Druck setzen, spät von zu Hause losgehen, um sich einen Grund zu schaffen, sich eben beeilen zu müssen. Dass dann halt das Risiko, zu spät zu kommen grösser wird.
Antreiber sind unersättlich
Christin: Ja, ja, genau. Ich denke auch, wir haben immer wieder dieses Paradoxe darin, in dem Verhalten, weil wir ja diese Idee davon haben, von ich bin nur ok, wenn … Und dann ist so die Frage: wann gerät es ausser Kontrolle? Oder wann erlaube ich mir es auch mal anders zu tun? Und inwiefern – auch da sind wir wieder beim Skript – kann ich mir dann damit auch wieder bestätigen: „Ach, ich hätte mich…“ – ich nehme jetzt mal das Beispiel weiter – „… doch mehr beeilen müssen.“
Jürg: Ja. Weil wir diese Antreiber nie zu hundert Prozent erfüllen können, gibt es immer auch die Rechtfertigung, eben nächstes Mal noch mehr…
Christin: Genau, mehr des Selben.
Jürg: Da sind wir wieder beim sich verstärkenden System.
Christin: Ja.
Umgang mit Antreibern
1. Eigene(n) Hauptantreiber kennen
Jürg: Gut, schauen wir doch mal noch, wie wir damit umgehen können.
Christin: Also das wichtige ist – jetzt haben wir viele Beispiele gebracht – wie kann man seine Lieblings- oder Hautpantreiber entdecken? Und das ist ebenso mit diesem mal spielen und gucken, hier reinlesen und reinhören, was du/ihr, liebe Hörerin, lieber Hörer, gehört habt. Was ist da, was ihr so entdeckt, welches häufige Verhalten erkennt ihr bei euch wieder.
Jürg: Und wenn ich das kenne – und ich glaube, das ist generell bei solchen Themen, Skript oder allgemein persönlichen Themen, das Kennen ist schon die halbe Miete.
Christin: Dann wird's mir auch viel bewusster.
Jürg: Dann nehme ich es wahr, wenn das aktiv ist, und kann dann im Moment je nach dem auch anders reagieren oder anders damit umgehen.
Christin: Oder mich auch nochmal mehr sortieren.
2. Kontakt mit Menschen pflegen, die dich so akzeptieren, wie du bist
Christin: Und dann vielleicht zum Beispiel – als zweiten Punkt – pflege ich Kontakt mit Menschen, die mich so akzeptieren, wie ich bin. Die auch das auch das verstärken, vielleicht diese Seiten oder diese zwei Seiten der Medaille.
Jürg: Ja, und die mir eben auch das Ok-Gefühl vermitteln. Wo ich nicht etwas erfüllen muss, sondern wo ich ok sein kann, egal, was passiert. Und ich glaube im Kontakt mit anderen kann ich mein eigenes Ok-Empfinden dann auch stärken. Und wenn das besser genährt ist, dann glaube ich, ist die Gefahr kleiner, dass Antreiber aktiv werden. Weil ich muss ja mir das Ok-Sein nicht mehr erarbeiten, sondern da ist eine Basis da.
Christin: Genau.
3. Erlaubnisse
Jürg: Drittens, da haben wir auch letztes Mal schon darüber gesprochen, über Erlaubnisse. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Antreiber. Das heisst, wenn ich einerseits Erlaubnisse integrieren kann, die meine Einschärfungen entschärfen, dann braucht es auch weniger Antreiber. Und auf der anderen Seite kann ich natürlich auch für Antreiber Erlaubnisse formulieren. Dass ich eben beispielsweise – wenn wir das Sei stark nehmen – auch sagen kann: „Ich darf auch mal Hilfe annehmen.“ „Ich darauf auch mal Gefühle zeigen.“ Und da ist es wichtig, dass es eben nicht ein komplettes Ich-muss-jetzt-immer-Gefühle-zeigen, sondern wirklich, dass ich darf. Und ich darf auch mal zurückhalten, wenn ich will.
Christin: Genau, und dass ist diese Variabilität hat. Oder wenn du, liebe Hörerin, lieber Hörer, was ausprobieren möchtest, dass du nicht sagst: ich probier's jetzt – was weiss ich – in einem grossen Setting aus, sondern ich probier's im Kleinen aus, dass ich mich getraue, zum Beispiel, wenn ich's recht mache eher es in einer privaten Situation mit meinem Partner oder mit meinen Kindern zu sagen: „Ich würde aber lieber gerne ins Freibad gehen.“ Und nicht zum Beispiel beim Chef oder so. Sondern dass wir da wirklich lernen – und da bin ich wieder beim letzten Mal, bei der Idee vom Ulrich Dehner mit der Introvision -, dass da tatsächlich so ein innerer Alarm oder eine innere – ich hab auch das Thema Immunity to change mal eingebracht – so ein Schutzmechanismus innerlich deutlich wird, der mich dann immer wieder davon hindert. Das heisst, es ist gut, diesen Satz „ich darf…“ auch zu testen im Kleinen und sich dann immer wieder zu überzeugen: ich glaub dem jetzt auch. Am Anfang gibt es jetzt da vielleicht eher Widerstand. Dieses Ja, kann ja nicht sein. Aber dass ich mich da immer weiter annähere.
4. Ressourcen schätzen lernen
Jürg: Dann ein vierter und letzter Punkt im Umgang mit Antreibern – das haben wir auch schon angesprochen – das ist die Ressourcen schätzen lernen. Das heisst, die Antreiber eben bewusst einsetzen, ohne dass ich mein Ok-Sei davon abhängig mache. Beispielsweise, wenn Sei stark! mein Primärantreiber ist, dann hat es vielleicht die positive Seite, dass ich ausgeglichen bin, standfest, dass ich mich so leicht aus dem Konzept bringe. Und das kann ich bewusst auch mal einbringen.
Christin: Mhm, ja.
Jürg: Oder bei Sei perfekt! genaues Arbeiten, Präzision. Das sind ja wertvolle Ressourcen und Stärken und wenn es mir gelingt, das eben ohne das Ok-Sein davon abhängig zu machen, einzubringen, dann hat das auch viel Gutes.
Christin: Mhm.
Jürg: Bei Streng dich an! ist es vielleicht das Durchhaltevermögen, das gross ist. Oder die Leistungsbereitschaft allgemein. Sei anderen gefällig! das haben wir schon erwähnt auch: Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft usw.
Beeile dich! Effizienz, also auch in kurzer Zeit etwas zu erreichen. Das sind alles Ressourcen, die wir gut auch nutzen können, wenn wir es eben loslösen von unserem Ok-Empfinden.
Fragen
Christin: Mhm, ja. Also nochmal die Einladung an euch, zu gucken:
- Was sind deine – oder was ist dein Primärantreiber?
- Wo erlebst du primäres Antreiberverhalten?
- Was ist da auch an Fähigkeit, Stärke damit verbunden?
- Und wie konkret lebst oder erlebst du das?
Abschluss
Da so ein bisschen weiterzuarbeiten. Wir freuen uns da auch auf Fragen …
Jürg: … ja, oder Beispiele, wie du deine Antreiber erlebst, ist sicher auch spannend. Und wir werden uns dann in den nächsten zwei Episoden mit dem Thema Autonomie befassen, was ja dann so eine Ergänzung auch noch ist von Skriptthematik. Worauf arbeiten wir denn hin? Und worum geht es?
Christin: Gut, insofern…
Jürg: … danke für's Hören und …
Beide: … bis bald! Tschüss!